„Mir helfen die Erschossenen“

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Gekürzte und überarbeitet Fassung „Mir helfen die Erschossenen“ (Gespräch Denis Karagodin und Dmitri Volchek) veröffentlicht auf der Website „Radio Svoboda“* am 19. November 2016.

Wir werden sie alle zur Verantwortung ziehen: Von Stalin bis zum Henker in Tomsk, einschließlich den Fahrer des Gefangenentransportwagens. Ein Mensch bringt einen anderen um und sagt anschließend: Wissen Sie, ich habe ihn umgebracht, aber hier ist eine Urkunde darüber, dass ich ihn rehabilitiert habe – nun ist alles in Ordnung. Nein – nichts ist in Ordnung. Und dies ist ganz offensichtlich. Nehmen wir an, dass die Diskussion bei uns weder in den 1950er, noch in den 1980er Jahren stattgefunden hatte, doch nun hat sie begonnen!


Stepan Ivanovich Karagodin

Der 56- jährige Bauer Stepan Ivanovich Karagodin wurde in der Nacht zum 1. Dezember 1937 von den Mitarbeitern der Tomsker Stadtdienststelle des NKVD, verurteilt vom einer Sonderkommission als Organisator einer Gruppe für Spionage und Diversion und als Resident japanisch-militärischen Ausspähungen. Er wurde zum Tod durch Erschießen verurteilt. Das Urteil wurde am 21. Januar 1938 vollstreckt. Die Ehefrau und die Kinder wussten nichts von der Erschießung und hofften, dass er noch am Leben sei. Ende der 1950er Jahre habe sie eine Urkunde über die Rehabilitierung erhalten, in der es hieß, dass Stepan Ivanovich „in Haft verstorben“ war.

Denis Karagodin

Der 34-jährige Denis Karagodin, Urenkel von Stepan Ivanovich, Absolvent der philosophischen Fakultät der Staatlichen Universität Tomsk, hat sich entschieden die Namen all derer zu eruieren, die der Falsifikation der Unterlagen der Angeklagten in der „Kharbinsker Affäre“ beschuldigt werden. Es soll eine Kette der Verbrecher erstellt werden, von den Initiatoren im Kreml des „großen Terrors“ bis hin zu den einfachen Ausführern in Tomsk, über die Fahrer der Gefangenentransportwagen und den Maschinenschreiberinnen, die die Unterlagen des NKVD abtippten. Die Archive des sowjetischen Geheimdienstes geben nur sehr ungern Informationen frei, doch Denis hat es geschafft viele Dokumente zu erhalten, die davon zeugen, wie die Maschinerie der stalinistischen Repressionen arbeitete und unschuldige Menschen tötete.

In einem Artikel über Denis Karagodin und seine Nachforschungen, schreibt der russische Historiker Dr. Ivan Kurilla:

„Herr Karagodin hat die Frage nach der Verantwortung des Staates und der einzelnen Personen, der Ausführer des Terrors gestellt. Dabei geht es nicht um die politische Verantwortung, von der gesprochen wird, beginnend bei dem XX Plenum der KPdSU, sondern um die strafrechtliche Verantwortung. In Russland scheint ein solcher Schritt ganz natürlich gleichzeitig aber auch unmöglich. Das russische Volk hatte weder eine Kommission für eine nationale Aussöhnung, noch ein eigenes Tribunal für die Henker. Denis Karagodin hat seine eigene Form der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit vorgestellt: Eine eigenständige Untersuchung und eine private Anklage in dem Fall des Todes seines Urgroßvaters.“

Im Juni 2016 erzählte Denis Karagodin dem Radiosender Radio Svoboda über seine Hoffnungen die Untersuchungen mit einer echten Gerichtsverhandlung abschließen zu können. Alle Materialien die für die Vorbereitung eines solchen Prozesses benötigt werden, sind bereits zusammengetragen. Im November hatte Denis das letzte Schlüsseldokument erhalten: Die Akte über die Vollstreckung der Urteile durch die Tomsker Stadtdienstelle des NKVD, die 36 Personen betraf, darunter auch Stepan Ivanovich Karagodin und sechs seiner „Komplizen“ (denen die gleichen Vergehen vorgeworfen wurden). Alle wurden nach ihrem Tod rehabilitiert.

„Jetzt haben wir die ganze Kette der Mörder: Vom Politbüro bis zum direkten Henker“,

– schreibt Denis Karagodin.

Alleine an diesem Tag- dem 21. Januar 1938 – wurden in dem Gefängnis von Tomsk von den Mitarbeitern des NKVD 64 Menschen erschossen. Menschen, die nicht in der Akte verzeichnet sind, wurden auf anderen Listen mit den Urteilen aufgeführt.

Das Wichtigste ist, dass in den Dokumenten die Namen der ausführenden Henker aufgeführt werden. Dazu zählen der Assistent des Gefängnisleiters von Tomsk Zyrjanov, der Kommandant der Tomsker Stadtdienststelle des NKVD Denisov und Inspektor Noskova.

Um diese Dokumente zu erhalten hat es Denis Karagodin weit mehr als einen Monat gekostet. Mehrere seiner schriftlichen und mündlichen Anfragen kamen immer wieder zum selben Schluss- entweder bekam er ein formales Antwortschreiben oder eine Nachricht darüber, dass ein solches Dokument nicht da ist und jede weitere Information die ein Licht darauf werfen, wo sich dieses Dokument befinden könnte, wurde blockiert.

Trotz dieser hoffnungslosen Lage hatte Denis Karagodin entschieden nicht aufzugeben. Er arbeitete einen Plan für seine nächsten Handlungen aus, der vorsah die Staatsduma, den Föderationsrat und sogar das Moskauer Patriarchat der Russisch Orthodoxe Kirche miteinzubeziehen.

Doch nach einer erneuten Anfrage bekam er unerwartet einen Brief aus dem Archiv der Leitung des FSB der Region Novosibirsk. Dieser enthielt Kopien der Dokumente bezüglich der Erschießung und die Namen der Henker.

Denis Karagodin mit der Akte bezüglich der Erschießung von Stepan Ivanovich Karagodin (und weiteren 35 Personen) (mit den Namen ihrer Henker) in dem Erschießungsgraben des Kashtak Hügels in Tomsk, 16. November 2016.

DENIS KARAGODIN HAT DEM RADIOSENDER RADIO SVOBODA ERZÄHLT, WIE ALLES ABGELAUFEN WAR

Im Jahre 2012 habe ich mit einer „standartmäßigen“ Arbeit, der Suche nach Informationen zu den Mitarbeitern des NKVD in behördlichen und politischen Archiven begonnen. Ab einem gewissen Moment habe ich beschlossen Information von den Nachfahren und Angehörigen miteinzubeziehen, deren Verwandte ebenso in Tomsk erschossen worden waren.

Auszug aus der Akte über die Erschießung von KARAGODIN Stepan Ivanovich – АУФСБ РФ по ТО, Ф.8, ОП.1, Д.П-1997, л. (Briefumschlag).

Mit diesem Entschluss konnte ich gleich zwei Aufgaben angehen: 1) Das Aufstellen einer Liste mit den Mitarbeitern der Tomsker Stadtdienststelle des NKVD, und ihrer Zeit in der „Führungsrolle“, also die Arbeit vom Dezember 1937 bis zum Januar 1938 (nach meinen Berechnungen sollten es etwa 70 Personen gewesen sein). Auf dieser Grundlage sollten diese dann in einem Rangverhältnis aufgereiht werden wie es zu „meinem Fall“ passt. 2) Das Erstellen einer Datenbank für Handschriften aus einer Vielzahl von Auszügen aus den Akten zu den Erschießungen (weiter sollen grafologische Profile der Mitarbeiter des NKVD erstellt werden. Daraus soll eine Struktur nachempfunden werden, mit der sich dann der Antwort genährt werden kann – wer hat seine Unterschrift unter die Erschießung zu meinem Urgroßvater gesetzt).

Zu den „Führungskräften“ habe ich jede Information gesammelt, die ich dazu in der Zeit zwischen 1935-1939 zu der Stadt Tomsk und dem Tomsker Bezirk finden konnte; im Zusammenhang mit den Auszügen aus den Akten, habe ich mich streng auf den Januar 1938 konzentriert. Ein Framework wurde herausgearbeitet und es konnte mit der „Produktion“ beginnen.

Ich bekam Nachrichten über meine Website (Menschen begannen mir allmählich Material zu schicken). Einiges konnte ich auch wie bisher selbständig herausfinden. Aus den mir zugesendeten Unterlagen konnte ich quäntchenweise die Angaben zu den Mitarbeitern des NKVD herausarbeiten (wer führte die Verhaftung durch, wer leitete die Untersuchung der Personen, wer waren die Durchsuchungszeugen, wer leitete die Ermittlungen, wer unterzeichnete den Haftbefehl und schickte die Leute zu ihrer Verurteilung u. ä.). Auch führte ich die zusammenfassende Kartei weiter (diese beinhaltete auch die Datenbank der Handschriften, der Unterschriften und die Schriften von maschinell erstellten Texten, denn auch jede Schreibmaschine hatte ihre unverwechselbare „Handschrift“). Des Weiteren vermerkte ich gesondert alle Angaben dazu, wo entsprechende Materialien zu finden sind (wo, was und in welchen Archiven zu bestimmten Behörden könnten sich Unterlagen befinden (Material über die Ermittlungen, Urteile, Revisionen, Rehabilitierungen, usw.). Das könnte das Archiv des FSB, Archiv des MWD, Archiv der Militärstaatsanwaltschaft, Archiv der West-Sibirische Landkreis und weitere sein.

Eines Tages bekam ich einen Brief von einem Leser meiner Website. Mir schrieb jemand, dessen Verwandter in Novosibirsk erschossen wurde. Ich war auch über diese Art von Information erfreut, da zu dieser Zeit die Stadt Tomsk administrativ zu der Region Novosibirsk gehörte und die Tomskter Stadtdienstelle des NKVD war der Novosibirsker Leitung des NKVD der UdSSR direkt unterstellt, d. h. operative Führung und die Angestellten waren ein und das selbe Glied.

Aleksej Ivanovich Salikhov

Aus diesen Dokumenten konnte ich die Mitarbeiter des NKVD ausmachen, die diesen Menschen umgebracht haben (über viele von ihnen hatte ich bereits Angaben in meiner Kartei). Ich habe diese Daten den Nachfahren von Salikhov Aleksej Ivanovich übergeben- so hieß der Mann der getötet wurde. Er wurde am 5. Juli 1938 erschossen und zuvor am 21. Oktober 1937 in der Stadt Tomsk verhaftet. Dabei stellte sich heraus (ebenfalls aus den Dokumenten), dass er vor seiner Verhaftung und als diese stattfand in der selben Straße wie mein Urgroßvater Stepan Ivanovich Karagodin gelebt hatte, lediglich zwei Häuser weiter: Im Haus Nummer 16 und mein Urgroßvater mit seiner Familie im Haus Nummer 10. Sie waren also Nachbarn. Diese Eröffnung war kaum zu glauben und ich war begeistert! Danach habe ich die Adresse dieses Hauses (als eigenständiges Objekt) in die interaktive Karte meiner Untersuchungen eingezeichnet. Aber es blieb nicht bei dieser einen Überraschung. Bei einer näheren Betrachtung seiner Dokumente (ich hatte mich entschlossen bei dieser Sache nun sehr genau hinzuschauen – „nachbarschaftlich“ wie man so sagt) entdeckte ich eine sehr merkwürdige Notiz bei einer Abschrift aus der Akte über die Erschießung.

Dokument über die Erschießung von SALIKHOV Aleksej Ivanovick – Datum der Erschießung: 5 Juli 1938. Erschossen in Novosibirsk.

Es hieß darin, dass die „Akte über die Vollstreckung des Urteils befindet sich in einem Spezialarchiv der 1. Spezialabteilung des NKVD UdSSR“. Zuvor bin ich noch nie auf so etwas gestoßen. Doch es waren genau die Informationen, die mir nicht erteilt wurden und es wurde jeder Versuch blockiert an diese heranzukommen. Es wurde sogar verheimlicht, dass solche Archive überhaupt existieren. „Wir haben keine Auskunft darüber“ – war die Standartantwort.

ALSO IST DIES EINE STRENGGEHEIME ABTEILUNG DES GEHEIMDIENSTES?

Ich nehme an, dass dies höchstwahrscheinlich der Fall ist. Zumindest für die Periode, die mich interessiert. Es musste also noch eine Kleinigkeit geklärt werden: Wo befindet es sich nun (im Jahr 2016). Es konnte herausgefunden werden, dass es sich in der Stadt Omsk befindet, im Archiv der Leitung des FSB der Omsker Region. Dieses ist während des Zweiten Weltkrieges dort hingekommen, ins Übergangsarchiv im Zuge der Evakuierung der Archive aus Fernost und aus dem europäischen Teil der UdSSR. Dabei befinden sich an diesem Ort, dem Übergangsarchiv, auch zahlreiche Dokumente über die „Sonderkommission des NKVD“, archivierte Untersuchungen zu der Entkulakisierung auf dem Territorium von Fernost sowie verschiedene Dokumente aus Moskau und vieles Weitere, wie auch das von mit gesuchte Spezialarchiv NKVD UdSSR.

WURDEN DIESE DOKUMENTE UMGELAGERT AUS ANGST, SIE KÖNNTEN DEN JAPANERN ODER DEN DEUTSCHEN IN DIE HÄNDE FALLEN?

Ja natürlich. All das wurde durchgeführt im Rahmen einer „standardmäßigen“ Evakuierung des aller Wertvollsten. Des aller Wertvollsten, verstehen Sie!

Die Antwort der Leitung des FSB des Omsker Region – die Originalakten die Erschießung betreffend werden NICHT ZUR VERFÜGUNG GESTELLT (sie sind nicht auffindbar).

Ich habe sofort die von mir gesuchten Dokumente förmlich korrekt angefragt (inklusiver die Nummer des Bandes). Aus der Antwort aus Omsk ging hervor, dass das von mir angefragte Dokument (die Erschießungsakte) bezüglich meines Urgroßvaters sich nicht in diesem Archiv befindet und das von mir bestellte Band „enthalte Akten über die Durchführung der gerichtlichen Entscheidungen von drei Leitungen des NKVD der Region Tschita“ (wobei nach meiner Annahme sich dort eigentlich die Akten der Novosibirsker Region befinden sollten). Und dies war ein echter Durchbruch, denn aus diesen bürokratischen Formulierungen konnte ich mit Sicherheit endlich das feststellen, wovon ich schon immer überzeugt war: Diese Dokumente existieren immer noch! Aber ich hatte auch nie daran gezweifelt. Die Frage war nur, wo sie sich genau befinden. Ich nahm an, dass sie in Tomsk waren (am Ort des Geschehens und dem Ort der Langzeitarchivierung der Fälle von Repressierten).

Als ich nun endlich diese „heiße Spur“ aufnehmen konnte, erwachte in mir eine wahre Leidenschaft und ich packte diese Gelegenheit fest am Schopf.

Ich entschied mich alle möglichen Varianten durchzuarbeiten (um alle formalen Absagen zu sammeln) und sendete eine ähnliche Anfrage an die Leitung des FSB die zuständig für die Novosibirsker Region war. Und auch erneut in Tomsk machte ich eine Anfrage. Mehrere Monate bekam ich keine Antwort, doch da ich eine Absage brauchte, sendete ich erneut eine Anfrage nach Novosibirsk. Die „formale Antwort“ war absolut überraschend – mir wurde die gesuchte Erschießungsakte übersendet!

HAT DAS ARCHIV SELBST DIE AKTE ÜBERSENDET?

Die Akte über die Ausführung des Urteils, ausgeführt von der Tomsker Stadtdienststelle NKVD am 21. Januar 1938 im Tomsker Gefängnis der Stadt Tomsk auf dem Kashtak (gemäß der Anordnung: 159/814 vom 13. Januar 1938) Blatt 1 von 1. Rückseite des Befehls.

Nicht alles, aber die konkrete Akte über die Durchführung des Urteils. Wie konnte das passieren? Zum einen war die Anfrage sehr konkret formuliert: Es wurde der ganze Führungsstrang der Anordnungen angegeben sowie die genauen Datumsangaben. Des Weiteren wurde das Wissen über den Ort und die Existenz einer Spezialabteilung angegeben und die Korrespondenz mit der Leitung des FSB Omsk und Tomsk in Kopie beigefügt. Das Ergebnis – die Akte liegt nun vor. All die Informationen, die ich in der Anfrage angegeben habe, können nur schwer von Menschen nachvollzogen werden, die nicht vom Fach sind und sogar nicht von jedem Historiker. Es gilt auch nicht zu vergessen, dass die ganze Zeit genau zu den Nummern der Anordnungen und zu den Datumsangaben mir gegenüber mehr oder minder die Auskunft verweigert wurden; aber ich habe sie trotz alle dem alles herausfinden können.

Es ist auch interessant, dass weder auf der Akte noch der Anordnung zu der Akte „geheim“ oder „streng geheim“ steht. Möglicherweise steht dies auf der Frontseite des Bandes mit den Anordnungen und Akten. Aber auf dem eigentlichen Dokument ist definitiv nichts. Hier gibt es zwei mögliche Varianten die dies erklären könnten: Entweder war es so geheim, dass es niemandem in den Sinn kam, sich diese Dokumente anzuschauen, oder es steht tatsächlich auf der Frontseite des Bandes geschrieben.

Die Historiker und Spezialisten mit denen ich in Kontakt stehe können nicht glauben, dass mir das gelungen ist. Einige waren sogar schockiert. Zum einen von der Tatsache, dass es mir gelungen war sie zu besorgen und zum anderen von der Tatsache, dass solche Dokumente tatsächlich existieren und dass es möglich ist sie zu bekommen. Es ist auch gut möglich, dass dies das erste Mal in Russland war, dass einer Person ein solches Dokument ausgehändigt wurde. Doch sicher weiß ich das natürlich nicht. Aber das ist auch nicht wichtig, denn die Hauptsache ist, wie sie verstehen, eine ganz andere.

Zu dem waren laut einigen Information eine Reihe von Mitarbeitern der Archive des Leitenden FSB fest davon überzeugt, dass diese Akte einfach physisch nicht mehr existiert – angeblich wurde diese damals einfach vernichtet (entsorgt, wie viele andere Dokumente). Aber ich wusste, dass es nicht so war und dass diese Dokumente existieren – für mich war das klar durch mittelbare Anzeichen und es war nicht nur das Gefühl eines Ermittlers, ich war mir dessen absolut sicher! So war es dann auch.

WAS ERÖFFNET IHNEN DIESE AKTE?

Befehl des Leitenden NKVD des Novosibirsker Gebiets ZSK UdSSR an die Tomsker Stadtdienststelle des NKVD die Hinrichtungen durchzuführen. Anordnung: 159/814 vom 13. Januar 1938. Blatt 1 von 3.

Das Dokument ist ein Befehl der Leitung des NKVD des Novosibirsker Gebiets der UdSSR aus dem hervorgeht, dass 36 Menschen erschossen werden sollen auf Grundlage der Entscheidung der „Sonderkommision des NKVD“. Weiter gibt es eine genaue Nummerierung der Anordnungen und „Begründungen“. Dieses Dokument wurde persönlich an den Vorgesetzten der Tomsker Stadtdienststelle des NKVD Ovchinnikov Ivan Vasil`evich zur Ausführung übersendet. Nach der Ausführung – der Erschießung von 36 Menschen, sollte dieses Dokument zusammen mit der Erschießungsakte wieder nach Novosibirsk zurückgesendet werden (so die Instruktion in der Anordnung). Dies wurde auch so gemacht. Somit haben wir ein Dokument von 3 Seiten, wobei auf der Rückseite des dritten Blattes, sich ein Schreibmaschinenvermerk befindet, dass die Tat von den entsprechenden Henkern aufgeführt worden war.

OVCHINNIKOV Ivan Vasil`evich – Leiter der Tomsker Stadtdienststelle des NKVD

Alles war so wie ich es erwartet hatte – dort waren die von mir erwarteten amtlichen Gesichter. Ich nahm an, dass am wahrscheinlichsten dort die Namen des Stellvertreters oder der Leiter des Gefängnisses der aller Voraussicht nach der Leiter der Stadtdienststelle Ovchinnikov und noch jemand von den Mitarbeitern – die „Inspektoren“ der 8. Abteilung, auftauchen. So war es dann auch. Auch glaubte ich, dass es noch einen weiteren Ermittler geben kann (den Fall von Stepan Ivanovich leiteten mehrere Ermittler) aber nein – in diesem Teil hat sich meine Vermutung nicht bestätigt.

Das Dokument ist ein Universalschlüssel, der im Moment wirklich viel Türe öffnen kann, vor allem aber hat es symbolischen Charakter.

Nun kennen wir mit Sicherheit den Leiter der Tomsker Stadtdienststelle des NKVD – das war Denisov. Lange Zeit konnte ich diese Person nicht genau bestimmen. Aber ich hatte bereits zuvor Daten von Denisov zusammengetragen – sein Profil war in meiner Datenbank. Nun ist es zu 100% klar, dass genau er die Führungskraft des Tomsker NKVD war in der für mich relevanten Periode.

Der Name Noskova war mir auch bereits aus einer Lokalzeitung aus den Jahren 1937 -1938 bekannt. Diese Noskova war für mich immer ein „unbeschriebenes Blatt“ (einige Zeit hatte ich sogar gedacht, dass es ein Scherz der Stadtdienststelle sei – von einem Mitarbeiter in der Zeitung zu schreiben, den es gar nicht gibt), weil ich nicht nachvollzeihen konnte, warum sie nicht in die anderen Materialien und Datensammlungen auftaucht, in denen auch die anderen Mitarbeiten zu finden waren. Nun ist es klar warum: Sie war ein „einfacher Henker“, ein Inspektor (für „besondere Aufgaben“).

UND WARUM WURDE IN DER ZEITUNG ÜBER SIE GESCHRIEBEN?

Wissen sie…

Im Frühling des Jahres 2016, im Lesesaal für Professoren der Bibliothek der Staatlichen Universität Tomsk, habe ich über das Thema der französischen poststrukturalistischen Tradition (war ich eingetaucht in die Welt der Autoren wie: G. Deleuze, F. Guattari, G. Bataille, G. Rene, J. Lacan, M. Foucault, B. Stigler, K. Jaspers, E. Fromm, G. Simmel, W. Dilthey, E. Cassirer, C. Peirce, G. Frege, F. de Saussure, C. Morris, M. Bachtin, J. Kristeva, A. Solomonick, R. Jakobson, C. Lévi-Strauss, J. Lotman, R. Rorty, F. Brentano, E. Husserl, M. Heidegger, G. Speth, M. Merleau-Ponty, A. Bergson, F. Nietzsche, L. Wittgenstein…und hatte ausschließlich nur über diese nachgedacht).

Plötzlich, überrascht über mich selbst, stand ich auf und und ging rüber zu den Zeitschriften.

Eine Ausgabe der Zeitung „Krasnoe Znamja“ Nr. 211 vom 13. November 1937, ein Samstag. Die Organisatoren des Mordes von Stepan Ivanovich Karagodin: Stalin, Molotov, Woroshilov, Ezhov.

Ich öffnete die abgeheftete Tomsker Zeitung „Krasnoe Znamja“ für die Jahre 1937-1938 und habe angefangen ein Foto des Staatsanwalts der Stadt Tomsk Nikolaj Piljushenko zu suchen. Er war ein Massenmörder, ein absolut Besessener (er rieht seinen Untergebenen mehr ausgewählte Literatur zu lesen damit die Anklagen der Staatsanwaltschaft in der Zeit des „großen Terrors“ sprachgewandt formuliert wurden). Im Jahre 1939 wurde er wirklich verhaftet und beschuldigt an einem „rechts-trotzkistischen konterrevolutionären Komplott“ beteiligt gewesen zu sein. Aber in Wirklichkeit wurde die „Ermittlungen“ nicht weiterverfolgt (Glück gehabt). Mehr noch, denn im Endeffekt wurde er auf Grund dieses Ereignisses als ein Opfer von politischen Repressionen anerkannt und ging in das Gedenkbuch des Tomsker Region als Geschädigter ein.

Ich, der all dies wusste, klammerte mich nun an diese Blätter, und jede einzelne Seite schrie über den Vorstoß von Faschisten aller Art von allen Seiten in „unsere sozialistische Heimat“ (einschließlich der „faschistischen Piraten“ – ein wörtliches Zitat). Ich suchte weiter, mich mit dem Leser freuend über die „weise Leitung des NKVD“ die allen möglichen Verschwörungen, die in allen Sphären unseres sozialen Lebens und in den Ängsten „unseres Volkes“ herrschten, aufdeckte (von angesehen Bolschewiken bis zum Wachmann eines Dorfklubs – die alles dafür gaben um zu „schaden“ und die anstehenden Wahlen Ende 1937 – Anfang 1938 zu stören). Natürlich immer in Sorge, wie geht es den „Unsrigen in Spanien“ und ist alles gut bei den „chinesischen Genossen“? Das Lesen solcher Dinge ist atemberaubend – dass kann ich nur jedem empfehlen.

Ausgabe der Tomsker Zeitung „Krasnoe Znamja“ (Nr. 236 (5321), vom 20. Dezember 1937) mit dem Titel: „Heute feiert das ganze sowjetische Volk den ruhmreichen zwanzigjährigen Jahrestag des Außerordentliche Allrussische Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage (VChK)-Gemeinsame staatliche politische Direktion (OGPU)-NKVD“.

Das ganze Jahr 1937 „durchgearbeitet“, dies waren 242 Ausgaben, stieß ich auf eine interessante Information. Ein Foto von Piljushenko, dass ich gesucht hatte, habe ich nicht gefunden, aber einige Fotografien der regionalen Angestellten des NKVD, denen höchste staatlichen Auszeichnungen verliehen wurden. Es stand nicht geschrieben, wofür sie ausgezeichnet wurden, aber ich wusste genau für was – für die Massenmorde (es gibt dafür Dokumente). Dies war der Zenit ihres Erfolgs, auf den Fotografien sahen sie nett aus und man wollte ihnen glauben und Stolz auf sie sein. Und auf einem dieser Fotos war auch diese Noskova, in der Anmerkung zu ihrem Bild stand geschrieben – „eine der aktiven Mitarbeiter der Tomsker Stadtdienststelle des NKVD“. Damals habe ich sie automatisch in die Kartei aufgenommen und habe ihr Profil auf den Stapel „zu bearbeiten“ getan.

Henker der Tomsker Stadtdienststelle des NKVD – NOSKOVA Ekaterina Mikhajlovna.

Und so wurden am 21. Januar 1938 in der Stadt Tomsk, dank all dieser „Zeitungsberühmtheiten“, 64 Menschen getötet (erschossen). Und das nur an einem Tag. Vor diesem Tag fanden auch Massenhinrichtungen (Erschießungen) statt und nach diesem Tag auch; den Monat zuvor und den Monat danach. Dies war ein Fließband, eine kaltblütige Todesmaschine, ein einfacher Mechanismus, Routine.

Ich nehme an, dass diese drei Henker die Kerngruppe bildeten. In meiner Kartei befinden sich allerdings noch weitere Henker, aber mit Sicherheit identifiziert und „meinen Fall“ betreffend, sind diese Personen.

UND SIE WOLLEN WIRKLICH ALLE ERMITTELN, BIS HIN ZU DEN FAHREREN DER GEFANGENENTRANSPORTWAGEN UND DEN MASCHIENENSCHREIBERN, DIE DIE DOKUMENTE TIPPTEN?

Nein ich will nicht, ich habe es bereits getan.

Und hierbei handelt es sich nicht nur um die Nachnamen und den Dienstgrad, sondern alle weiteren erforderlichen persönlichen Angaben: Name, Vatersname, Vorname, Geburtsdatum, Dienstzeugnis, Geburtsort, Nummern der Anordnungen der Auszeichnungen, Dienstgrad, Sterbeurkunde und Fotografien.

Im Bezug zu den Fahrern und den Maschinenschreibern drück ich es mal so aus:

Ich habe eine vollständige Liste aller Fahrer vom Fuhrpark der Tomsker Stadtdienstelle des NKVD (einschließlich des Spediteurs „ZK“) und zu einigen Maschinenschreibern habe ich auch Informationen. Aber dieses Ziel ist eher fakultativ. Eine Maschinenschreiberin werden wir nicht als Mittäterin heranziehen können (wobei, wenn man das Schriftbild der Schreibmaschine durchgeht und sich die Arbeitspläne anschauen würde und weiteres – wäre es möglich). Den Fahrer können wir aber zu 100% als Mittäter heranziehen. Dafür reichen die Anweisungen für die Transporte (die konkreten Daten). Im Prinzip denke ich, dass es nicht unmöglich ist.

Aber das Wichtigste sind nicht sie, sondern das Erschießungskommando auf das ich Jagt aufgenommen habe. Ich habe sie alle bekommen! Alle.

Das Archiv des Projektes KARAGODIN.ORG auf Datenträgern: Dokumente, externe Festplatte 8 TB und ein Laptop (Verwaltung der Website und allgemeines Management). Foto – 16. November 2016, Tomsk.

Das letzte Wochenende habe ich damit verbraucht, das erhaltene Dokument auszuwerten und die Profile der Täter zu vervollständigen; und plötzlich habe ich gemerkt, dass meine Ermittlung beendet ist.

Wissen Sie, es ist ein sehr merkwürdiges Gefühl. Stellen Sie sich vor, dass Sie die gesamte Operation „D“ zur Landung in der Normandie ausgearbeitet haben (mit der ganzen Logistik und der Ausrüstung) und Sie haben schon mit der Bewegung begonnen, als Ihnen plötzlich mitgeteilt wird, dass Hitler ins Bad gegangen ist, dort ausversehen ausrutschte, zu Boden fiel, sich dabei den Kopf am Waschbecken aufgeschlagen hat und gestorben sei.

WAS WISSEN SIE NOCH ÜBER DIE HENKER AUßER IHRE NAMEN?

Also eigentlich alles. Ich möchte noch gerne weitere Fotos von ihnen auftreiben. Ein Foto von Noskova habe ich bereits, ich habe die Nummer des Parteibuches von Denisov, demzufolge werde ich auch von ihm ein Foto finden. Der dritte – der Neue – ist Zyrjanov der Assistent der Gefängnisleitung. Mir liegen Informationen vor, dass an den Massenmorden auch Komsomol Mitglieder beteiligt waren. Dies bildet einen eigenen Zweig bei meinen Untersuchungen. Er war Mitglied des Gesamtsowjetischen Leninschen Kommunistischen Jugendverbandes (VLKSM) ab 1930. Er war es auch, der mit einbezogen wurde für die Arbeite über die „Komsomol Linie“, er hatte geholfen. Es gab die Anordnung – bezahlen sie soviel sie mögen (egal welches Geld), Hauptsache sie tun ihre Arbeit.

Gehaltsabrechnung der Tomsker Stadtdienststelle VLKSM für das Jahr 1937.

Ich habe auch die Gehaltsabrechnungen für die Jahre 1936-38 gefunden und wollte prüfen, ob es einen Gehaltsanstieg in dieser Periode gab (zu bestimmten Daten). Ich hatte mich auch entschlossen eine Tabelle anzulegen und über indirekte Anzeichen zu bestimmen welche Zusammenhänge es geben könnte und plötzlich- boom, und alles wird dir zugeschickt. Ich denke, dass sie selber nicht verstanden haben, was sie taten.

Na ja, also was bedeutet genau, alles zugeschickt bekommen.

Es waren nur ihre geschmierten Unterschriften (ohne Initialen), es gab natürlich keine weiteren Auskünfte dazu.

Unterschriften der Henker der Tomsker Stadtdienststelle des NKVD.

Die Namen und Vatersnamen, Dienstzeugnis Geburtsdatum, Fotos usw.- das alles wurde bereits eigenständig von mir in Erfahrung gebracht. Solch eine Information hätten sie mir bei meinen linear verlaufenden Ermittlungen nicht erteilt (davon kann gar keine Rede sein). Im Juni dieses Jahres hatte ich Ihnen bereits davon erzählt.

SIE SCHREIBEN, DASS SIE AUCH EINE VERBINDUNGPERSON UND PROVOKATEUR AUS DER GEFÄNGNISZELLE AUFGESPÜHRT HABEN. WER IST DIESER MENSCH?

Die Mitarbeiter des NKVD UdSSR der West-Sibirischen Region. Weitere Informationen dazu hier.

Dies war ein weiterer „Winkelzug“ der Tomsker Stadtdienststelle des NKVD – eine Verbindungsperson und Provokateur – Pushnin Ivan Fjodorovich, geboren 1911. Kein einfacher „Winkelzug“, sondern ein derartig wilder, dass sie es sich erlaubten die Ermittler (ranghohe Mitarbeiter der Stadtdienststelle) zu lehren, wie sie mit den Untersuchungshäftlingen umgehen sollten. In den 50er Jahren und später, als die ehemaligen Mitarbeiter ihre Aussagen machten auf den Partei Kommissionen (und in den Behörden der Militärstaatsanwaltschaft), haben sie ihn als Drahtzieher benannt. So oder so ähnlich, aber es konnte ein Ermittlerkreis ausgemacht werden, für den er Aussagen „rausgeschlagen“ hatte. Wobei hier im wahrsten Sinne des Wortes „rausgeschlagen“ gemeint ist, sowohl in der Praxis als auch sinnbildlich.

Eine Gefängniszelle des Gefängnisses auf dem Kashtak Hügel

Im Jahr 1958 hat die Militärstaatsanwaltschaft es abgelehnt ihn zu rehabilitieren mit der Begründung, er war eine „Person, die an den Falsifikationen von Strafsachen beteiligt war“ (denn formal war er ein Untersuchungshäftling während seiner „Arbeit“ in der Tomsker Stadtdienststelle des NKVD). Dennoch wurde ihm bereits im Jahr 1990 mit der Formulierung „eine Person, die kein hauptberuflicher Mitarbeiter des NKVD“ war der Status „rehabilitiert“ zugeschrieben. Aber wie es heißt, wenn sich eine Tür schließt, dann öffnet sich wahrscheinlich eine andere. Und tatsächlich hat mir dieser juristische Vorgang es möglich gemacht, seine Akte anzufordern, zu seinem Fall als „Opfer von politischen Repressionen“ (einer rehabilitierten Person) – mal sehen was dies für ein Opfer war. Es gibt kein Recht mir die Akteneinsicht zu verweigern. Die Akte ist in der Leitung FSB für das Tomsker Gebiet eingelagert. Das gleiche habe ich vorgenommen auch mit dem Fall des Staatsanwalts Piljushenko auf der identischen Ausgangsbasis.

Solche juristischen Schlupflöcher nenne ich „Fehler im System“. Haben Sie den Film „Matrix“ gesehen? Er ist in vielen Teilen aufgebaut auf dem Konzept des französischen Soziologen Jean Baudrillard (einer meiner favorisierten Autoren im akademischen Bereich).

UND DIESE VERBINDUNGSPERSON IN DER GEFÄNGNISZELLE HAT AUCH EINE AUSSAGE AUS IHREM URGROßVATER HERAUSGEPRÜGELT?

Wir können es nicht mit aller Sicherheit bestätigen.

Aber es gab die Anwendung von Folter in der Tomsker Stadtdienststelle des NKVD und sie wurde auch aktiv genutzt. Dies nannte sich eine „friedliche“ Art der physischen Einwirkung. Ich habe offizielle Dokumente von Behörden, die dieses beweisen.

Dabei muss man verstehen, dass bei einem Untersuchungshäftling physische Gewalt angewandt werden konnte, wie beispielsweise das Schlagen mit großen Buchbänden auf den Kopf, das einquetschen der Finder in Türen, „Stehfolter“, Zufügen von Dehnungen und Zerrungen, jemanden zusammenschlagen usw. (ich habe hier konkrete Mittel der Folter aufgelistet, die in der Tomsker Stadtdienststelle des NKVD angewendet wurden).

Bei einigen Untersuchungshäftlingen konnten auch raffiniertere Methoden angewendet werden: Es genügte ihnen einfach die erste Seite ihrer Akte zu zeigen (von einem eben erst eröffneten Fall), zu dem sie selbst Angaben gemacht haben (bei der ersten Befragung) über die Zusammensetzung und die Mitglieder ihrer Familie, und danach wurden Drohungen in ihre Richtung ausgesprochen… – das war mehr als genug, damit die Menschen alle möglichen Dokumente unterzeichneten; Hauptsache der Familie, der Frau, den Kindern wird nichts getan. Alles war einfach.

Wahrscheinlich ist mit Stepan Ivanovich etwas Ähnliches passiert, denn nach seiner Verhaftung wurden seine beiden Söhne, die ihren Wehrdienst ableisteten befördert. Dies könnte als so eine Art „Vertrag“ gewesen sein, verstehen Sie? Sie haben mit einander verhandelt. Aber mit Sicherheit weiß ich das natürlich nicht. Aber auf den Seiten des Befragungsprotokolls, die ich persönlich gesehen habe, ist seine Unterschrift nicht mehr im Originalzustand. Und auf einigen Seiten hat man das Gefühl, dass zuerst leere Blätter unterzeichnet worden waren und dann anschließend die Befragungsergebnisse aufgeschrieben wurden (die dann später von der Maschinenschreiberin abgetippt wurden).

Aber dies ist ein ganz eigenständiges und großes Thema. Die Praktiken der Unterzeichnung von leeren Blättern war mir bereits bekannt, sowie die lineare Praktik in der Tomsker Stadtdienststelle des NKVD.

NACH UNSEREM INTERVIEW VOM JUNI UND ANDEREN PUBLIKATION ÜBER IHRE ERMITTLUNGEN HABEN SIE VIEL POST BEKOMMEN – SOWOHL VON LEUTEN DIE EINFACH INTERESSE ZEIGTEN ABER AUCH VON DENEN DIE INFORMATIONEN ÜBER IHRE EIGENEN REPRESSIERTEN VERWANDTEN SAMMELN MÖCHTEN. WAS WIRD IHNEN AM MEISTEN GESCHREIBEN: „JUNGE, DU MACHST DAS GUT, WIRST DAMIT ABER NICHTS ERREICHEN“ ODER „WIR WERDEN DAS GLEICHE MACHEN“?

Also darüber, dass ich nichts erreichen werde habe ich vom aller ersten Tag gehört. Und das höre ich bis heute noch. Und es gab auch Momente in denen sogar meine engsten Freunde davon überzeugt waren, dass ich nun nicht mehr weiterkomme, hier sei nun die Grenze und eine Sackgasse. Aber ich habe nicht weiter darauf gehört, denn die Lösung von unmöglichen Aufgaben ist das eigentliche Projekt KARAGODIN.ORG.

Stepan Ivanovich Karagodin mit seinen Kindern.

Jeder dieser einzelnen Punkte ist eine unmöglich zu lösen Aufgabe und wie Sie sehen ist sie gelöst, jede einzelne. Und die, die noch nicht gelöst sind, werden gelöst. Natürlich gibst es irgendetwas Unmögliches, aber diese Zonen wurden von mir bestimmt und in Bewusstsein dessen (wie Stalker der Brüder Strugatskikh) konzentriere ich mich auf das Mögliche.

Ja – viele haben geschrieben, dass ich alles toll mache. Das hat mir natürlich geschmeichelt. Aber jeder von solcher Art Brief war begleitet von einer persönlichen Mini-Geschichte der familiäre Tragödien enthielt und gebrochene Schicksale. Ich denke die Menschen wollen Vergeltung. Und als sie sahen, dass es bei jemandem geklappt hat – wünschten sie mir Kraft. Mir wurde sogar Geld angeboten (einfach zur Unterstützung), ich habe dies natürlich abgelehnt.

Auch wurde ich sehr oft gefragt, wie genau eine Anfrage formuliert und wohin dieser gerichtet werden soll und wie kann man an diese oder jene Dokumente herankommen. Es gab auch viele technische Anfragen. Dies hat mich sehr abgelenkt (und das bin ich immer noch). Ich bin schließlich keine Institution um die „Anfragen von Bürgern“ zu bearbeiten, ich bin überhaupt nur eine Person. Und ich beschäftige mich überhaupt mit einem konkreten, meinem persönlichen Fall. Aber ich versuche trotzdem allen zu antworten. Natürlich im Rahmen meiner Kräfte und Möglichkeiten… Ich gebe Ratschläge, wie etwas besser gemacht werden kann. Aber dies fiel mir sehr schwer – denn jede Geschichte ist die Hölle und du musst in diese eintauchen und dich über die Geschehnisse unterhalten. Und dabei verweile ich die ganze Zeit in der Hölle der russischen Bürokratie. Sie müssen das verstehen. Dass ist ein ununterbrochener Strom… Das ist sehr schwer; und nichtantworten geht auch nicht, da ein Brief der Schrei aus dem Herzen des Menschen ist; womöglich die allerletzte verzweifelte Chance etwas zu erfahren. Ich sage Ihnen ganz offen, dass ich diese Last nur allzu gerne von mir nehmen würde. Ich bin nicht die Organisation „Memorial“, aber trotzdem wird mir geschrieben. Ich denke an Memorial wird auch geschrieben… Im Allgemeinen schreibt jeder jedem und im Endeffekt haben wir das was wir haben.

WURDEN DIE ANGEHÖRIGEN DER MENSCHEN GEFUNDEN, DIE ZUSAMMEN MIT STEPAN IVANOVICH ERSCHONNEN WURDEN?

Sterbebeurkunde von Stepan Ivanovich Karagodin.

Nein. Es ist mir nicht gelungen diese Angehörigen ausfindig zu machen. Aber ehrlich gesagt habe ich mir diese Aufgabe auch nicht gestellt. Ich denke sie sind einfach nicht mehr am Leben. Schauen Sie mal: Zu diesem Fall gehörten 8 Menschen, 7 von ihnen wurden erschossen. Bei den sich im Tomsker Standesamt befindlichen Sterbebeurkunden handelt es sich um Falsifikationen – es wurden falsche Sterbedaten und Todesursachen angegeben. Das NKVD und später das KGB UdSSR hat die Spuren ihrer Verbrechen – Massenhinrichtungen – verschleiert, in dem sie die Dokumente im Standesamt fälschten. Wie dies genau ablief (einschließlich der geheimen innerbehördlichen Anweisungen) kann ebenfalls auf meiner Website nachgelesen werden. Allerdings wurden mit der Zeit (das war in den 50er und 80er Jahren) die Urkunden zu drei von sieben Personen wieder richtiggestellt: Es wurde das richtige Sterbedatum eingetragen – „21. Januar 1938“ und die richtige Sterbeursache – „erschossen“. Dies kann nur eins bedeuten – zum Zeitpunkt der Eintragung und Richtigstellung waren die Angehörigen noch am Leben. Über das Prinzip der Richtigstellung kann in den Dokumenten auf der Website der Ermittlungen nachgelesen werden.

Anna Dmitrievna Karagodina (Kosenko) – die Ehefrau von Stepan Ivanovich Karagodin. Foto – Fernost, Russischen Imperium.

DER SKEPTIKER HÖRT UNS ZU UND SAGT: ALSO GUT, ER HAT ALLE DIESE MENSCHEN IDENTIFIZIERT, SIE WURDEN IM JAHRE 1892 GEBOREN, LÄNGST IST KEINER MEHR VON IHNEN AM LEBEN. UND NUN?

Anna Dmitrievna Karagodina Foto aus dem Jahr 1949, Tomsk.

Unsere Ermittlung ist abgeschlossen, das ist das Wichtigste. Wir habe das erfahren, was mehrere Generationen unserer Familie wissen wollten – die Namen der Henker. Und das haben wir erreicht. Jeder hat seinen Teil dazu beigetragen. Mein Abschnitt begann im Jahr 2012 und endete im November 2016. Die Ermittlung hat bereits am 1. Dezember 1937 begonnen, also in der Nacht der Verhaftung von Stepan Ivanovich durch die Mitarbeiter der Tomsker Stadtdienststelle des NKVD. Nun kennen wir die gesamte Kette der Mörder (von den Organisatoren in Moskau bis zu den konkreten Henkern in Tomsk, wobei wir nicht nur die Namen kennen, sondern ausführliche Biografien mit den Arbeitszeugnissen, einschließlich der privaten Anschrift und zum Teil haben wir auch Fotos aus den privaten, familiären Archiven). Es wurde eine ernstzunehmende Arbeit geleistet. Nun kann darüber berichtet werden. Das Werk ist vollbracht.

Eine soziale Bewegung initiiert von Anna Dmitrievna Karagodina im Jahr 1928.

Als Stepan Ivanovich im Jahr 1928 zum zweiten Mal verhaftet wurde (eingesperrt in das Gefängnis von Blagoveshhensk, es folgte die Entkulakisierung und Verbannung in die Region Narymskij) hatte seine Frau Anna Dmitrievna, eine Kosakin und gebürtige Majkopa, die Analphabetin war (sie konnte weder lesen noch schreiben) eine soziale Bewegung gestartet, was der Anfang einer guten Tradition war. Im Jahr 2013 war ich im Fernosten, im Dorf Volkovo, und habe die Nachfahren derer gefunden, die sich damals im Jahr 1928 für Stepan Ivanovich eingesetzt haben (durch die Teilnahme an der Bewegung) und habe mich bei ihnen bedankt. Ich hinterließ einen Dankesbrief in dem Dorfmuseum, dass sich in dem fabelhaften Museum der örtlichen Schule befindet.

Im Gegensatz zu meiner Urgroßmutter bin ich kein Analphabet. Darum kann ich entsprechende Bewegungen auf einem Niveau durchführen, wie es mir meine Universitätsbildung erlaubt. Gleichzeitig hat wohl der Geist des Kosaken, der über ihre Linie vererbt wurde, mich nie verlassen.

Gründer der Station Barakaevskoj. Foto – 19. Jahrhundert. Station Barakaevskaja – Wohnort von Stepan Ivanovich Karagodin und Anna Dmitrievna bis zum „Auszug an den Fluss Amur“ Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts.

Artikel „Veselij ehffekt“, Zeitung „Amurskaja pravda“ vom 7. März 1928, Nr. 2377.

1928 im selben Jahr war in der Zeitung der Bolschewiken „Amurskaja pravda „(die übrigens bis heute noch existiert) einen vernichtenden Artikel erschienen die Vertretung des Dorfes Volkovo des Blagobeshhenskogo Bezirks betreffend, die zum damaligen Zeitpunkt Stepan Ivanovich übernahm in der Position des Vorstehers der Landratsgemeinde. Dieser Artikel wurde anschließend auch von den Ermittlungen der Bolschewiken zu den Unteralgen der Ermittlungen zum Jahr 1928 hinzugefügt als ein „weiterer Beweis“ seiner Schuld. Das Ergebnis – Entkulakisierung und Verbannung nach Sibirien für drei Jahre. So kam er nach Tomsk.

Damit kam, neben der sozialen Bewegung zu diesem Fall, auch die Medienkomponenten hinzu. Diese beiden Komponenten sind zu Konstanten geworden.

Jetzt nutze ich die von meiner Urgroßmutter (der Frau von Stepan Ivanovich – Anna Dmitrievna) 1928 gelegte Tradition einer solchen Bewegungen und Nutze die Medien nun aber als einen Mechanismus zu unseren Gunsten. Ich habe das erreicht, was ich erreicht habe – der Mord meines Urgroßvaters ist aufgeklärt! Ich denke, Anna Dmitrievna wäre mit mir zufrieden. Ich halte mir die Erinnerung an sie in Ehren.

Was geschafft wurde ist das Wichtigste; und das ist mehr als genug.

Stepan Ivanovich Karagodin mit seiner Frau Anna Dmitrievna und dem jüngsten Sohn Lev – dem Großvater von Denis Karagodin.

Dennoch ist es noch nicht alles.

Der zweite Teil des Ermittlungsprojekts ist die Heranziehung zur Verantwortung aller Beteiligten an dem Mord von Stepan Ivanovich Karagodin. Die gesamte Kette: Von den Organisatoren dieses konkreten Mordes – den Mitgliedern des Politbüros in Moskau (mit dem Parteivorsitzendem Dzhugashvili Iossif Vissarionovich) hin zu den direkten Henkern in Tomsk (den Bürgern: Zypjanov Nikolaj Ivanovich, geboren 1912; Denisov Sergej Timofeevich, geboren 1892 und Noskova Ekaterina Mikhailovna, geboren 1903). Die Kette der Täter ist relativ lang – mehr als 20 Personen: Organisatoren, Leiter, Ausführende, Mittäter – alle. Es gibt eine reale Anklage: Diese Personengruppe hatte nach Absprachen einen Massenmord verübt.

Das Szenario dieser juristischen Prozedur (die Heranziehung zur Verantwortung) ist schon ausgearbeitet.

DER MASSENMORD – SIND DAS ALLE 64 PERSONEN?

Blatt Kopie – 23. Angaben zu dem Blatt: UFMS der Russischen Föderation der Tomsker Region Ф. 8 ОП. 1 Д. П-1997 Л. 169. Т.1

Nein. Nur sieben. Natürlich wurden an diesem unheilvollen Tag – dem 21. Januar 1938 von den Mitarbeitern der Tomsker Stadtdienststelle des NKVD (und weiteren damit in Verbindung stehenden Personen) nicht weniger als 64 Menschen umgebracht. Übrigens wurden diese Informationen eigenständig von mir in Erfahrung gebracht. Diese sind nicht aufgearbeitet und nicht in frei zugänglichen Quellen zu finden. Abgehsehn davon, dass uns das Schlüsseldokument – die Erschießungsakte – vorliegt, können wir 36 von diesen 64 Personen benennen, aber rein faktisch haben wir nur zu sieben von ihnen genauer Informationen. Der Schlüssel zu ihnen ist Stepan Ivanovich Karagodin. Also er selbst und alle die mit ihm zusammen in diesem Erschießungsfall verwickelt waren und zusammen mit ihm erschossen wurden im Rahmen der „Kharbinsker Affäre“ aufgrund der Entscheidung des „Sonderkommision des NKVD“. Es waren: Baturin Frol Danilovich, Bocharnikov Iosif Mikhajlovich, Malakisher Matvej Leont’evich, Simo Elena Dmitrievna, Starovojt Ul’jana Andreevna und Shabalin Vaniamin Jakovlevich.

VON STALIN BIS ZU DEN TOMSKER HENKERN?

Ja genau so. Alle. Einschließlich des Fahrers des Gefangenentransportwagens- er wird der Mittäterschaft beschuldigt.

ABER DIE ERÖFFNUNG EINES VERFAHRENS WIRD ABGELEHNT WERDEN

Haben Sie es probiert?

Oder denken Sie, dass ich eine Anzeige dieser Art mache (überhaupt eine solche Handlung angehe), ohne mit den Gesetzmäßigkeiten der Russischen Föderation zum Zeitpunkt des Novembers 2016 vertraut zu sein?

Ich wiederhole mich noch einmal:

Erstens. Das wichtigste bei unseren Ermittlungen ist geschafft: Die Straftat ist aufgeklärt – das ist das Wichtigste und ein Schlüsselmoment.

Zweitens. Die Szenarien über das juristische Verfahren (das Heranziehen der Schuldigen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit) sind ausgearbeitet. Und diese Möglichkeit nicht in Anspruch zu nehmen wäre wirklich ein Verbrechen. Wem und wann war es jemals gelungen so weit zu kommen? Mit solch einer Beweislage? Gibt es solche Bespiele? Mir persönlich sind keine bekannt. Also soll dies (und wenn dieser auch scheitert), wenigstens als ein Versuch in die Geschichte eingehen. Und eine Tradition zu entwickeln ist schon eine starke Sache!

Urkunde über die Rehabilitierung von Stepan Ivanovich Karagodin, 1955.

Ein Mensch bringt einen anderen um und sagt anschließend: Wissen sie, ich habe ihn umgebracht, aber hier ist eine Urkunde darüber, dass ich ihn rehabilitiert habe – nun ist alles in Ordnung. Nein – nichts ist in Ordnung. Das ist offensichtlich.

Niemand hat jemals in der Geschichte Russlands eine entsprechende Klage eingereicht, niemand hatte die Idee bis zum Ende zu gehen (auf der Ebene die ich bereits jetzt realisiert habe).

Formal gesehen gibt es mehrere Arten der Einschränkungen: Die Einschränkung der Verjährung bei diesem konkreten Verbrechen. Aber diese Einschränkung ist mit Leichtigkeit aufzuheben in der Staatsduma der Russischen Föderation. Es gibt auch andere formale Kriterien für eine „Ablehnung“, aber wie ich bereits erwähnte – wir haben kein Szenario ausgearbeitet, sondern Szenarien.

Denn in der Tat hat der Prozess gegen diese Mörder bereits begonnen. Bis dahin haben wir Ermittlungen geführt – haben die Schuldigen an dem Mord ermittelt anhand der „Schuldhaftigkeit“ der Getöteten. Nun drehen wir die Sache von innen nach außen auf die richtige Seiten – zum eigentlichen Zustand des Stoffes der Realität. Alles sollte und wird bei seinem richtigen Namen genannt werden: Die Mörder als Mörder, die Henker als Henker, die Mittäter als Mittäter und die Opfer als Opfer. Und dies alles nicht in einem abstrakten und theoretischen Sinne, sondern in einem greifbaren und konkretem.

Es ist schwer zu sagen wie die Sache im Endeffekt ausgeht, aber es kann zu minderst wirklich

„den Beginn einer öffentlichen Diskussion auslösen. Die Diskussion, die bei uns weder in den 1950er noch in den 1980er Jahren stattfand“.

So schreib es in dem Artikel „Nennen sie die Namen der Henker. Wie in Russland das Bewusstsein für die Vergangenheit wiederbelebt wird.“ der russische Historiker Dr. Ivan Kurilla und deutete so mein Projekt der Ermittlung.

Von mir füge ich noch das folgende hinzu.

Im Jahre 1857 verbannt der Imperator Alexander II. des Russischen Imperiums den Theoretiker des russischen Anarchismus Mikhail Bakunin in die Stadt Tomsk nach Sibirien, wo dieser Zeit seines Lebens verbleiben sollte. 1861 gelang ihm die Flucht über japanisches Territorium und er kam schließlich in die Stadt London. Dort arbeitet er für das Journal „Kolokol“ mit Alexander Herzen, der wie wir alle wissen die „russischen Revolutionäre weckte“.

Stepan Ivanovich Karagodin mit seiner Familie in Tomsk, 1937.

Mein Urgroßvater Stepan Ivanovich Karagodin befand sich in Tomsk nach seiner Verbannung nach Sibirien zu Beginn der 1930er Jahre. Er wohnte nicht einfach nur nur in der Bakunin Straße (die zu Ehren Mikhails benannt wurde), sondern sogar in seinem Haus, allerdings im Kellergeschoss (über den Hof gelangte man zum Eingang, der sich links befand). Die jetzige Adresse ist – Stadt Tomsk, Bakunin Straße, Haus 14. Er wohnte nicht nur in diesem Haus, sondern wurde auch hier von den Mitarbeitern der Tomsker Stadtdienststelle NKVD unter dieser Adresse verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen ein „Resident der japanisch-militärischen Spionage“ zu sein.

Es gibt hier natürlich keine direkte Verbindung, aber auch diese zusammenlaufenden Umstände zu leugnen fällt schwer. In jedem Fall kann dies als ein symbolisches Zeichen gewertet werden. Ein Zeichen der Prägung in den Stoff der Geschichte. In ihren historischen Zyklus. Wenn auch nicht durch den Haupteingang, sondern durch die Kellertür, aber trotzdem ein Eingang.

Also ich schließe nicht aus, dass wir diesen Kreislauf mit unserer Klage schließen könnten.

Ich bin kein besonders religiöser Mensch, eher ein Agnostiker (wühlend in der Struktur des sozialen auf der „programmgesteuerten Ebene“, mit Begeisterung den Erfolg des Projekts „CERN“ beobachtend – den höchsten Punkt des menschlichen theoretischen Verständnisses). Aber gleichzeitig bin ich auch mit den christlichen theologischen Traditionen vertraut (und auch der russischen religiösen Philosophie); meine Lieblingsheiligen sind Foma Akvinskij und Avrelij Avgustin – zwei große Theologen.

 

Und so, all meine Errungenschaften reflektierend, besonders die Reihe der fantastischen Zufälle, komme ich manchmal zu dem seltsamen und in vielen Teilen auch erschreckenden, mystischen Gedanken, dass all diese Zufälle nicht einfach so passiert sind.

Denis Karagodin erstellt eine Geo-Markierung zu dem Gedenkkreuz auf dem Kashtak Hügel in Tomsk: Datum: 11.09.2012.

All diese Menschen, die in Tomsk auf dem Kashtak erschossen wurden und jetzt auf dem Grund dieses Grabens liegen, unter einem Haufen von Betonschutt und Bau- und Industriemüll (der auf sie drückt mit einer Last von mehreren Etagenhäusern) helfen mir. Ich weiß nicht wie, aber manchmal fühle ich physisch diese seltsame mit nichts verbundene Kraft und mit einer solchen Unterstützung können wir Lebenden (und Lebendigen) jetzt alles erreichen!

Und auch wenn es mir nicht gelingen sollte alles juristisch zu regeln – die Mörder meines Urgroßvaters zur strafrechtlichen Verantwortung zu ziehen, was für eine Rolle spielt es dann, was jemand in einer Robe sagt (bei all meinem Respekt vor der russischen Justiz), wenn ich eh schon ganz genau weiß, wer getötet hat.

Ich nehme an, dass die Diskussion, die weder in den 1950er noch in den 1980er Jahren stattgefunden hatte, jetzt ihren Anfang nimmt.

Ich bedanke mich bei all denen, bei denen ich mich zu bedanken habe.

Ich bin gerne bereit im Rahmen meiner Kräfte (und den zeitlichen Möglichkeiten) alle ihre weiteren Fragen zu beantworten und freue mich über Ihre Kommentare.


Оригинал:

Мне помогают расстрелянные” – Дмитрий Волчек, программа “Культурный дневник” – 19 ноября 2016, “Радио Свобода“* © Radio Free Europe/Radio Liberty, RFE/RL.*

Локализованная (расширенная) версия:

Мне помогают расстрелянные” – 19 ноября 2016, © KARAGODIN.ORG

Übersetzung

Übersetzung – 20.03.2017 – © Katharina Katschalkin.

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Последнее обновление: Суббота, 1 мая, 2021 в 10:06